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Letzte Bearbeitung: 21.8.2010
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Gustav Feuerleins »lateinischer Schiller«

In einem kleinen Rundfunkbeitrag zum Auftakt des Schillerjahres 2005 richtete Wilfried Stroh sein Augenmerk auf die lateinischen Texte, die wir von Friedrich Schiller haben.[1] Demnach war Schiller als Schüler ein guter Lateiner, und man muss davon ausgehen, dass er auch in reiferen Jahren noch des Lateinischen mächtig gewesen ist. Interessanter aber mag für den Liebhaber der lateinischen Sprache ein Blick auf die zahlreichen Übersetzungen von Texten Schillers ins Lateinische sein. Unlängst erst hat Sigrid Albert Schillers Jenaer Antrittsvorlesung ins Lateinische gebracht.[2] Die meisten lateinischen Übersetzungen stammen aber aus dem 19. Jahrhundert. Neben den Dramen[3] fanden vor allem Schillers Gedichte Beachtung bei Übersetzern.

Gustav Feuerlein (Zeichnung von Sophie Eckener)

Unter den Gedichtübersetzungen ragt die des Pfarrers Gustav Feuerlein heraus. Sie gibt vor, vollständig zu sein, und in der Tat hat Feuerlein bis auf die »Xenien« das Wesentliche übersetzt. Weiter erhebt Feuerlein Anspruch auf Klassizität. Anders als manch einer seiner Zeitgenossen, der bei der Übertragung deutscher Poesie auch die akzentuierende Rhythmik und den Reim seiner Vorlage im Lateinischen nachzubilden bestrebt ist, kleidet Feuerlein Schillers Gedichte in das strenge Gewand der quantitierenden reimlosen römischen Metrik und richtet die Strophen ganz nach denen des Horaz aus. Am häufigsten verwendet er elegische Distichen (181), mit Abstand folgen die alkäische (33) und dann die sapphische Strophe (18), Asklepiadeisches (14) und der Hexameter (6). Zweimal finden sich der jambische Trimeter, die archilochische Strophe und ein Distichon aus Hexameter und Iambelegus.[Conspectus metrorum] Nur da, wo Schiller antike Versmaße gebraucht, finden der Dichter und sein Übersetzer in der Form zueinander.

Mit Blick auf die antike Praxis nimmt Feuerlein innerhalb eines Gedichts keinen Wechsel des Versschemas vor.[4] Eine Ausnahme ist einzig »Das Lied von der Glocke«. Feuerlein gesteht, für dieses Gedicht, das doch so sehr vom Wechsel der Rhythmik lebe, kein passendes Metrum gefunden zu haben. Um nun dem Wunsch seines Verlegers nach der Übertragung ausnahmslos aller Gedichte nachzukommen, fügt er die in seinen Augen hervorragende Übersetzung der »Glocke« von Benjamin Gottlob Fischer, einem Pfarrerkollegen, der bereits Voßens »Luise« (1820), Goethes »Hermann und Dorothea« (1822) und Eberhards »Hanchen und die Küchlein« (1826) ins Lateinische gebracht hatte, seinem Werk ein.[5]

Vor große Schwierigkeiten sieht sich Feuerlein bei der Übertragung von Distichen gestellt, bei denen die Sätze über das Ende des Distichons hinausgehen, fordere doch ein poetisches Gesetz römischer Dichtung Kongruenz.[6] Allenthalben also ist Feuerlein darum bemüht, den antiken Formen zu entsprechen und ringt um Klassizität. Dass er damit schon einmal den Eindruck erweckt, als würde er Schiller in ein Prokrustesbett zwängen, ist durchaus nachvollziehbar.[7]

Auch die grundsätzlichen Probleme sieht Feuerlein. Da sind die so verschiedenen Sprachen: hier eine germanische, dort eine romanische, hier eine moderne, dort eine alte schon für tot erklärte, was nicht zuletzt das Ringen um den rechten Ausdruck schier unmöglich macht. Und dann die meisterliche Dichtersprache Schillers in ihrer ausgewogenen Gestaltung, die dem lateinischen Genius entsprechend und frei von Sinnentstellungen nachgebildet werden muss![8]

Da die Grenzen für eine lateinische Übersetzung der Gedichte Schillers so eng gesteckt sind und auch das Gefäß der römischen Metrik oftmals so gar nicht zu passen scheint, stellt sich unweigerlich die Frage, was Feuerlein zu diesem Unternehmen angetrieben haben mag. Ein auf den Schulunterricht bezogenes Interesse ist auszuschließen, da Feuerlein kein Lateinlehrer war. Es bleiben einzig seine grenzenlose Begeisterung für Schiller und seine tiefe Liebe zur römischen Poesie, die ihm im Bewusstsein einer gewissen Kongenialität Schillers mit dem Römischen[9] in unzähligen Nachtstunden („lucubrationes”) einen lateinischen Schiller abgerungen haben. Jenseits aller fremdgeleiteter Interessen, ohne wirtschaftlichen Impetus und frei von Eitelkeiten ist der Schiller Feuerleins einzig die Frucht erfüllter Mußestunden. Und so sollte denn auch der Wert seiner Arbeit weniger nach strengen philologischen Maßstäben als vielmehr nach dieser uns in seinen Übersetzungen begegnenden Leidenschaftlichkeit bemessen werden, die auf dem Boden eines geglückten Lebens in einer durchaus originellen Persönlichkeit aufgegangen ist.

[1]  Gesendet am 1.2.2005 von Radio Bremen; als Online-Publikation: Wilfried Stroh: Schiller als Lateiner, URL: www.goethezeitportal.de/db/feuilleton/schiller/stroh_lateiner.pdf (21.8.2010).

[2]  Sigrid Albert: Friderici Schiller universitaria oratio aditialis. Quid significet historia universalis et ad quem finem in eandem incumbatur?, in: Vox Latina, Fasc. 160 (Bd. 41, 2005), S. 201-215.

[3]  Es sei etwa hingewiesen auf: Friedrich v. Schiller's Wallensteins Lager ins Lateinische übersetzt mit gegenüber stehendem deutschen Text von Gustav Griesinger // Wallenstenii castra. Latine reddidit G. Griesinger, Tübingen 1830.; Deutsche Dichtungen von Schiller, Göthe und andern metrisch in's Lateinische übersetzt von C. Eidenbenz // Poemata Germanica auctoribus Schiller, Göthe aliisque latino metro reddere tentavit C. Eidenbenz, Ellwangen 1838, S. 27-53 (Stellen aus: »Die Jungfrau von Orleans«, »Maria Stuart«, »Wallenstein«, »Wilhelm Tell«) und S. 134-189 (»Semele«).

[4]  „At veterum Lyricorum nemo, quod sciam, in eodem carmine modos variavit.” (S. VI)

[5]  Ebd. – Feuerlein nimmt die Übersetzung aus: Poetarum aliquot Germanicorum carmina nonnulla, Latine reddidit M. Benjamin Gottlob Fischer, Stuttgart 1826, S. 197-227.

[6]  „Romani enim poëtae distichis singulis singulas sententias absolvere solent: sed Teuto, inprimis in carmine, quod »Ambulatio« inscribitur, hanc poëticam legem nequaquam curat.” (S. VII)

[7]  So Eugen Grünwald: Deutsche Poesie in lateinischem Gewande, in: Zeitschrift für den deutschen Unterricht, Bd. 16, 1902, S. 620.

[8]  S. V f.

[9]  „Nam ille [sc. Schiller], tam gravitate sententiarum, quam orationis elegantia nobis aureum saeculum graecarum latinarumque litterarum felicissime revocans, suo ingenio imprimis ingenium Romanum luculentissime repraesentat.” (S. V)